Medien im Gerichtssaal – Pranger oder Chance?
4_Knötzl_DR_02_2018
Plädoyer für eine enge Zusammenarbeit zwischen Anwalt, Mandant und Litigation-PR-Experten
Von Bettina Knoetzl
Verkehrte Unschuldsvermutung
Facebook, Volkswagen, Novartis, Donald Trump und eine nennenswerte Anzahl prominenter lokaler (Ex-)Politiker haben mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein mag: Sie alle sehen sich einer blitzartig auf den Plan gerufenen medialen (Vor-)Verurteilung ausgesetzt, die die gesetzlich wohlverankerte – in der Praxis der Medien jedoch verkehrte – Unschuldsvermutung aus ihren Angeln hebt. Denn die öffentliche Meinung fällt ihr Urteil lange vor Abschluss des Verfahrens. Sie tut das, ohne die Prinzipien eines die Menschenrechte wahrenden „Fair Trial“ zu kennen, geschweige denn zu beachten. Die Schuld wird ab Publikwerden des Verdachts vermutet.
In einer bemerkenswerten Entscheidung hat der österreichische Oberste Gerichtshof zum Zitat der „Unschuldsvermutung“ klar Stellung bezogen: „Vielmehr zielt der Artikel durch den ohne jede Grundlage erfolgenden Hinweis auf die Unschuldsvermutung in subtiler Weise darauf ab, den Kläger in einen strafrechtlichen Zusammenhang zu stellen. Denn gerade die Leser einer Boulevardzeitung sind es gewohnt, diesen – vom Rekursgericht richtig als ‚anspruchsabwehrende Floskel a‘ qualifizierten – Hinweis im Zusammenhang mit einem behaupteten strafbaren Verhalten zu lesen, und zwar nicht selten dort, wo der Verfasser damit eher das Gegenteil aussagen will“ (siehe dazu OGH 13.07.2010, 4 Ob 64/10f). Kurzum: die Unschuldsvermutung wird gezielt geäußert, um Schuld zu suggerieren.
Fehlurteil ohne Folgen
Während traditionelle Gerichtsverfahren Jahre in Anspruch nehmen, um durch – garantierte Verfahrensgrundsätze – zu einem fairen Urteil zu gelangen, das in der Regel auch mehrfach überprüfbar ist, urteilt die öffentliche Meinung blitzschnell. Ob ihr vorschnelles Urteil richtig war, interessiert später kaum. Ein Fehlurteil bleibt ohne geringste Folgen für den Urteilenden (= Leser/Hörer/Seher der medialen Botschaft).
Selbst dem Berichterstatter ist der Jahre später errungene Sieg oder Freispruch bestenfalls eine Randnotiz wert. Ruf und Fortkommen der Betroffenen sind derweil nachhaltig beschädigt und lassen sich schwer (oder niemals) wieder herstellen.
Umso wichtiger ist die unverzügliche Reaktion der Betroffenen, wenn sie am medialen Pranger stehen.
Litigation-PR als Gegenwehr zum fehlenden „Fair Trial“?
Litigation-PR ist keine Wunderwaffe. Sie kann aber zum Vorteil des Klienten Brücken zwischen zwei Welten schlagen, die unterschiedlichen Logiken folgen. Eine mit rein rechtlichen Mitteln verfolgte Gegenwehr wird zumeist nur beschränkt Abhilfe schaffen, denn die erhebliche Zeitdauer, die Gerichtsverfahren in Anspruch nehmen, verwehrt einen effektiven Schutz gegen die zwischenzeitlich erfolgte Beeinträchtigung von Ruf und Ansehen.
Die Methoden, die Litigation-PR aufbietet, sind deutlich effektiver und mittelschonender als die bloße rechtliche Gegenwehr. Im Rahmen einer bedachten Kommunikationsstrategie wird der Versuch unternommen, die Medien zu gewinnen, sie sich zum Mitstreiter und Freund (statt Feind) zu machen. Litigation-PR muss daher möglichst frühzeitig ansetzen, um die Eskalation des medial ausgetragenen Rechtsstreits zu vermeiden.
Man kann nicht nicht kommunizieren
Paul Watzlawik hat im Rahmen seiner fünf Axiome die – bislang unwiderlegte – Behauptung aufgestellt: Man kann nicht nicht kommunizieren: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten, und genauso, wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“
„No comment“ ist folglich auch ein Kommentar. Die öffentliche Meinung, die von der Schuldvermutung gelenkt ist, sieht Schweigen als Bestätigung des eigenen (Vor-)Urteils an.
Wenn sie gut beraten sind, stellen sich die Betroffenen ohne Zögern der Herausforderung, nicht zuletzt, um den Ausgang im (drohenden) Schadensersatzprozess vor medialem Einfluss abzuschirmen und den Ruf zu wahren. Rechtsanwälten kommt hier die Verantwortung zu, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und für fachgerechte Beratung durch Litigation-PR-Experten zu sorgen. Die Besonderheit der Aufgabe ergibt sich aus dem Zusammentreffen von zwei Welten, die jeweils ihren eigenen – über Jahrhunderte geformten – Gesetzmäßigkeiten folgen. Einige Regeln sind für Prozessanwälte und Litigation-Experten deckungsgleich, wie etwa die i) nachhaltige ii) Glaubwürdigkeit und die iii) leichte iv) Verständlichkeit der präsentierten v) „Geschichte“. Manche Regeln dieser beiden Welten fallen auseinander und stehen zum Teil in einem krassen Spannungsverhältnis.
Den Beteiligten im Justizsystem sind die Regeln der fremden Welt zumeist suspekt
Medien „leben“ von Geschwindigkeit. Gerichtsverfahren nehmen so viel Zeit wie erforderlich (und gelegentlich auch mehr) in Anspruch. Der Journalist sucht nicht nach der historischen „Wahrheit“, sondern nach Neuem. Vergangenes verliert, sobald berichtet, an öffentlichem Interesse. Ziel seines Beitrags ist, Aufmerksamkeit oder Leserquoten zu erreichen, niemals aber „Recht“ zu sprechen oder zu bekommen. Bedenke:
- Journalisten erzählen ihre Geschichten aus der Sicht der Öffentlichkeit, ihrer Leser, Seher und Hörer. Den Leser interessiert vor allem Neues [vgl. dazu Haggerty, Court of Public Opinion (2003), S. 121: „What is legally significant is often quite different from what is newsworthy].“
- Das Neue muss zeitnah erzählt werden, um dem Mitbewerber zuvorzukommen.
- Die „Lust am Untergang“ [Sieburg, Friedrich, Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene (1954)] treibt die Medienkonsumenten und damit die Geschichten.
Pointiert zusammengefasst: „Das primäre Interesse der Justiz gilt dem Recht, das primäre Interesse der Medien dem Unrecht.“ [Kepplinger, Hans, und Zerback, Mathias, Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. (2008)]. „Die Justiz bringt Pathologien und Rechtsverstöße ans Licht, weil sie der Durchsetzung des Rechtsfriedens dienen will. Die Medien bringen hingegen Pathologien ans Licht, weil diese eine hohe Aufmerksamkeit genießen und weiterhin haben sollen. Die Justiz ist konsensorientiert […] Massenmedien sind hingegen dissensorientiert: Sie suchen systematisch die streitwerte Differenz.“ [Kepplinger, Hans, und Zerback, Mathias, Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. Art, Ausmaß und Entstehung reziproker Effekte. In: Publizistik, 54. Jahrgang, Heft 1 (2009), S. 25, zitiert nach Hörisch, Jochen, (Wie) Passen Justiz und Massenmedien zusammen? in: Strafverteidiger (2005), S. 153].
Die „Story“ des Rechtsstreits muss sich daher in beiden Welten nachhaltig bewähren. Eine der beiden zu vernachlässigen wäre ein Kunstfehler. Litigation-PR ist Öffentlichkeitsarbeit vor, während und nach einer rechtlichen Auseinandersetzung, die gemeinsam mit den Rechtsexperten entwickelt werden soll und die Erreichung der Ziele des Mandanten als oberstes Bestreben zum Gegenstand hat. Mehr dazu in Autischer/Knötzl, Court Room of Public Opinion – Litigation-PR als Muss einer professionellen Streitführung?, Jahrbuch Anwaltsrecht 2013, 161.
Widerstreit schutzwürdiger Interessen
So sehr die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal die Funktion des mittelalterlichen Prangers übernommen hat, der tendenziell als Strafe konzipiert war und nicht als missliche Begleiterscheinung des Verfahrens, so sehr dient sie doch dem legitimen öffentlichen Informationsbedürfnis. Auf diese Weise werden Gerichtsverfahren wie früher am Marktplatz öffentlich aufgeführt. Öffentlichkeit zählt ihrerseits zu den fundamentalen Prinzipien der modernen Gerichtsbarkeit, nicht zuletzt, um eine Geheimjustiz hintanzuhalten. Dass geltende Prozessordnungen etwa auf „Liveticker“ aus dem Gerichtssaal noch nicht eingestellt sind und den Zeugen des Saales verweisen, wo dieser auf seinem Smartphone das Geschehen im Gerichtssaal exakt mitverfolgen kann, verdeutlicht die Spannung zwischen dem Bedürfnis nach objektiver Wahrheitsfindung und öffentlicher Information. Ebenso stark ausgeprägt ist der Konflikt mit dem – verhältnismäßig breit – geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung. Dem Journalisten steht die eigene – vorverurteilende – Meinung frei, solange nur ausreichend klar wird, dass eine rechtskräftige Entscheidung der Gerichte noch aussteht. Dabei wird unmittelbar in das Recht auf Schutz der Privatsphäre und auf Datenschutz eingegriffen. Das Recht, bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unbescholten zu gelten, wird durchweg missbraucht. Behördenvertreter zum einen und Berater der Parteien zum anderen tragen ihren Anteil an der problematischen Situation der Betroffenen.
In dieser Gemengelage widerstreitender Interessen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Mandant, Rechtsvertreter und Litigation-PR-Experten einerseits und allen übrigen „Playern“, die mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf das Ergebnis des Rechtsstreits nehmen, andererseits unabdingliche Voraussetzung einer erfolgreichen Bewältigung des Auftritts im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung und Wegbereiter für den angestrebten Erfolg im Prozess.