Kartellverstoß = Todesstoß?
Von Bettina Knötzl, Katrin Hanschitz und Thomas Voppichler
Aktuelle Entwicklungen – erhöhte Klagebereitschaft
Der auf EU-Ebene spürbare Kampf für Fairness im Wettbewerb schlägt sich in Zahlen nieder, die eine klare Botschaft senden: Unfairer Wettbewerb kann massive Konsequenzen haben. Zuweilen führt der Verstoß geradewegs in die Insolvenz. Wie dem letzten Tätigkeitsbericht der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) für 2017 zu entnehmen ist, stellt Österreich zunehmend mehr Budgetmittel und auch mehr Planstellen für die Ausstattung der Bundeswettbewerbsbehörde zur Verfügung. Während vor 15 Jahren gerade 19 Mitarbeiter geplant waren, waren es im Jahr 2017 bereits 46 Mitarbeiter; das Budget hat sich allein in den letzten acht Jahren auf 4,8 Millionen Euro verdoppelt. Das lohnt sich mit – bis Ende 2017 – 192 Millionen Euro an verhängten Geldbußen.
Parallel zum „public enforcement“ ist in Österreich wie auch in Deutschland eine erhöhte Klagebereitschaft von Kartellgeschädigten („private enforcement“) spürbar. Auch Auftraggeber der öffentlichen Hand nutzen die Erleichterungen für Kläger, die in Österreich vor rund 1,5 Jahren (in Umsetzung der Europäischen Kartellschadensersatz-Richtlinie 2014/104/EU) in Kraft getreten sind.
Kartellverstoß aufgedeckt
Im Idealfall wird der Verstoß von innen heraus, etwa durch die interne Revision oder (anonyme) Hinweise von Mitarbeitern, aufgedeckt. Dann bietet sich dem Unternehmen ein breiterer Handlungsspielraum. Am unerfreulichen Ende des Spektrums, wie ein Kartellverstoß bekannt wird, finden sich Zufallsfunde von Behörden in anderen Verfahren und externe Hinweise von Whistleblowern, wie unzufriedene Lieferanten oder ausgebootete Konkurrenten. Während die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft schon seit Jahren ein internetbasiertes Hinweisgebersystem eingerichtet hat, zog die Bundeswettbewerbsbehörde im Februar dieses Jahres nach. Mit zertifizierten Verschlüsselungstechnologien, die Anonymität garantieren und auch den Kronzeugenstatus sichern können, kann der (ehemalige) Teilnehmer des Kartells die Behörden mit Informationen füttern.
Kommt der Kartellrechtsverstoß ans Licht, ist im Unternehmen „Feuer am Dach“. Krisenerprobte Experten sind gefragt, zumal richtungsweisende strategische Entscheidungen unter hohem Zeitdruck zu treffen sind. Von Beginn an ist auf maximale Schadensbegrenzung und daher auf eine nachhaltige glaubwürdige Strategie zu achten.
Public Enforcement & Unternehmensstrafrecht
Die durch die Wettbewerbsbehörden verhängte Geldbuße kann extrem empfindlich ausfallen, ist jedoch nur ein Teil des drohenden Übels. Neben massiver Rufschädigung drohen zivilrechtliche Ansprüche (siehe unten) – und in Österreich auch strafgerichtliche Verurteilungen wegen wettbewerbswidriger Absprachen in Vergabeverfahren oder wegen schweren Betrugs – sowie der Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren. Das trifft nicht nur die beteiligten natürlichen Personen, sondern seit Einführung des Unternehmensstrafrechts (in Form des „Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes“) unmittelbar auch das Unternehmen.
Sind sogenannte Entscheidungsträger in die inkriminierten Taten involviert, dann steht nicht einmal der Verweis auf robuste Compliancesysteme (oder „adequate procedures“) zur Verteidigung offen. Der Gesetzgeber unterstellt in diesem Fall ein Versagen des Compliancesystems, denn der „Tone from the Top“ zählt. Nur wenn ausschließlich Mitarbeiter von der zweiten Ebene abwärts beteiligt waren, entzieht ein robustes Compliancesystem den Boden für eine Verurteilung des Unternehmens.
Kooperation als Wunderwaffe? – teure Folgen
Das Streben nach einem korrekten Umgang mit Verfehlungen der Vergangenheit führte zunehmend zur strategischen Entscheidung für die volle Kooperation mit den Behörden (und gegen die klassische „Verteidigung“). Das gesetzlich erwünschte Verhalten wird im Public Enforcement auch entsprechend belohnt: Liegen die Voraussetzungen für einen Kronzeugenantrag vor und wird dieser entsprechend fachgerecht verfolgt, so können die Verfahren im Idealfall ohne Zahlung einer Geldbuße und ohne strafgerichtliche Verurteilung enden.
Über dieser strategischen Entscheidung schwebt jedoch das – zunehmend geschärfte – Damoklesschwert der zivilrechtlichen Haftung. Wer seine Verantwortlichkeit – nolens volens – in einem Verfahren anerkannt hat, kann sie später im Zivilverfahren nicht bestreiten. Die Bindungswirkung lässt kein Schlupfloch offen. Was bleibt, ist der Kampf um die Höhe des Schadens (samt Kausalität) und um dessen Verteilung unter den Kartellanten im Regressweg (siehe unten).
Der Problematik Rechnung tragend, sieht das österreichische Kartellrecht gewisse Vorteile für Kronzeugen vor (siehe unten), jedoch nicht genug. Geheimhaltung zählt etwa nicht dazu. „Naming und shaming“ ist dem Kartellgericht vorgeschrieben. Es hat die Beteiligung des Unternehmens am Kartellverstoß zu veröffentlichen, was die Geschädigten mit Haftungsansprüchen auf den Plan ruft.
Dazu kommt: Die bei Kartell- und Strafbehörden offengelegten Fakten und Beweismittel können in späteren Schadensersatzverfahren eingesetzt werden. Das Zivilgericht kann – gegebenenfalls nach Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsabwägung – die Offenlegung von Beweismitteln aus den Akten der BWB und des Strafgerichts veranlassen.
Für bestimmte Kronzeugen gelten zwar Privilegierungen: So darf die Offenlegung von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen in keinem Fall angeordnet werden (§ 37k Abs. 4 KartG). Allerdings betrifft diese Einschränkung nur Kronzeugenerklärungen bei horizontalen Preisabsprachen. Für vertikale Preisabsprachen besteht kein absoluter Schutz, ebenso wenig wie für „pre-existing information“. Hier ist eine „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ – mit ungewissem Ausgang – maßgeblich (§ 37k Abs. 2 KartG).
Solidarhaftung als Supergau
Besonders hart trifft die Solidarhaftung aller Kartellanten. Schon die minimalste Beteiligung eines Mitläufers kann zu Schäden in Millionenhöhe führen, denn grundsätzlich haftet jeder Kartellant solidarisch für den gesamten Schaden aller Geschäftspartner aller Kartellanten (§ 37e KartG), einschließlich des entgangenen Gewinns und Zinsen (§ 37 d KartG, Zinsen derzeit 9,2%). Aufgrund des (strittigen) Preisschirmeffekts können gegebenenfalls sogar Kartellaußenseiter den Schaden ersetzt verlangen, der durch die allgemeine kartellbedingte Preiserhöhung am Markt entstanden ist. Dass das festgestellte Kartell einen Schaden verursacht hat, wird (bei horizontalen Kartellen) gesetzlich vermutet (§ 37d Abs. 2 KartG). Den Kartellgeschädigten steht zudem zur Geltendmachung ein langer Zeitraum von mindestens fünf Jahren zur Verfügung (§ 37h KartG).
Die geringste Beteiligung in einem großflächig angelegten Kartell kann folglich den Ruin bedeuten. Unter Umständen ist die Insolvenz bei Hervorkommen der Kartellverstöße sogar die angezeigte Alternative, denn das Kartellrecht anerkennt nur wenige Haftungsprivilege. Diese bestehen zwar für gewisse KMUs und Kronzeugen, sind allerdings mit vielen Fragezeichen behaftet. So haften Kronzeugen in der Regel nur den eigenen Auftraggebern und nicht, wie die übrigen Kartellanten, auch für Schäden aller übrigen Kartellgeschädigten (§ 37e Abs. 3 KartG). Der Gesetzgeber normiert aber – zum Schutz des Geschädigten wohlgemeint, für den kooperationswilligen Kartellanten heimtückisch – Ausnahmen von der Ausnahme: Das Privileg gilt etwa dann nicht, wenn der Schaden von den Mitkartellanten nicht vollständig erlangt werden kann. Nun, wer vermag das bei Hervorkommen der Tat, also Jahre vor Vorliegen rechtskräftiger Zivilurteile, einzuschätzen? Wer nicht mit hellseherischen Fähigkeiten begabt ist, der muss sich folglich auf das Glatteis der Spekulation begeben. Dem nicht genug: Nur der erste Kronzeuge, der ein „geheimes“ horizontales Kartell aufdeckt und einen vollständigen Erlass der Geldbuße erwirkt, kommt in den Genuss des Privilegs. War das Kartell der Behörde etwa durch einen früheren Kronzeugenantrag bekannt, so entfällt das Haftungsprivileg.
Drohende Konzernhaftung
Für internationale Konzerne spitzt die Rechtsprechung der europäischen Instanzen und zuletzt im Ansatz auch des österreichischen Obersten Gerichtshofs (Az. sh 4 Ob 46/12m) das finanzielle Risiko noch weiter zu. Wenn die Konzernmutter einen ausreichenden bestimmenden Einfluss auf den Kartellanten ausübt (das wäre bei mehrheitlicher Beteiligung in der Regel zu vermuten), ist ein Zugriff auf Konzerngesellschaften über die gesellschaftsrechtlichen Grenzen hinweg zu befürchten. Dieses zusätzliche Risiko wiegt im Rahmen der Entscheidungsfindung schwer, weil der erweiterte Haftungsfonds den potenten Konzern geradezu ins Fadenkreuz der Geschädigten rückt.
Regress als große Unbekannte
Dem Geschädigten steht durch die Solidarhaftung die Wahl offen, wen er zuerst zur Kasse bittet. Der solvente Kartellant trägt – faktisch – ein größeres Risiko: je höher die Wirtschaftskraft, desto größer die Gefahr der ersten Inanspruchnahme. Jenem Ersten obliegt dann der mühsame Regressweg, wobei er das Risiko der Uneinbringlichkeit übernimmt: Ob die Mitkartellanten zum Zeitpunkt des Regresses überhaupt noch greifbar sein werden, steht angesichts der langen Verjährungsfrist gepaart mit der langen Dauer komplexer Gerichtsverfahren in Frage.
Neben der Höhe der schlussendlich rechtskräftig zuerkannten Schadensersatzansprüche ist auch der Ausgleichsbetrag unter den Kartellanten (= die Höhe des Regressanspruchs) vorab ungewiss. Er hängt von der jeweils „relativen“ Verantwortung des einzelnen Kartellanten für den entstandenen Schaden ab (§ 37e Abs. 4 KartG). Dazu müssten zumindest Umsatz, Marktanteil und die Rollen der beteiligten Kartellanten bekannt sein. Diese Daten liegen den Konkurrenten beim Hervorkommen des Kartellverstoßes selten vor. Gleiches gilt für jene Daten, die im Vergleichsfall eine Rolle spielen. Oft werden Kartellschäden im Vergleichsweg ausgeglichen. Daher werden die Regressregelungen mit § 37g KartG um ein komplexes Regelungssystem ergänzt. Dieses soll sicherstellen, dass einerseits ein vorteilhafter Vergleich eines Kartellanten die Ansprüche der Geschädigten gegen die übrigen Mitkartellanten nicht beeinträchtigt und dass andererseits der bezahlte Vergleichsbetrag die Regressansprüche der übrigen Mitkartellanten entsprechend mindert. Die Umsetzung dieser Bestimmung erfordert diffizile Erwägungen und Informationen, die den Parteien im Vorfeld in der Regel fehlen.
Conclusio – (zu) viele Unbekannte?
Der Erfolg der BWB der letzten Jahre lässt sich – unstrittig – gerade auch auf die Kooperation von Kronzeugen zurückführen. Mit Blick auf die jüngsten gesetzgeberischen Bemühungen zur Förderung des Private Enforcement bleibt nun abzuwarten, wie sich die vielen Unbekannten bei der strategischen Entscheidungsfindung im Zeitpunkt der Aufdeckung des Kartellverstoßes auswirken werden. Eines steht fest: Da geradezu hellseherische Fähigkeiten gefragt sind, um eine zuverlässige Einschätzung des drohenden wirtschaftlichen Risikos abzugeben, setzen sich potentielle Kronzeugen schwer quantifizierbaren Risiken aus.
Was wird also geschehen? Das aus Compliancesicht gewünschte Verhalten wird als logische Folge der für die Entscheidungsträger angezeigten wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung seltener werden. Allgemein wird mit einem sogenannten Chilling-Effekt bei den Kronzeugenanträgen gerechnet.
Wenn aber vorbildliches Verhalten zu teuer wird, ist die Sinnhaftigkeit der jüngsten gesetzgeberischen Maßnahmen zu hinterfragen. Vor allem aber ist die Rechtsprechung gefragt. Statt dem Trend folgend bloß die Schrauben weiter anzuziehen, wäre Rechtsanwendung mit entsprechendem Augenmaß wünschenswert. Offene Rechtsfragen, wie etwa bei der Konzernhaftung, sollten so geschlossen werden, dass ein kooperatives Verhalten des ernsthaft reumütigen Unternehmens ausreichend attraktiv wird. So wird der Weg für echtes Umdenken und Aufdecken statt „Zudecken“ weiter geebnet.